Inter­view mit Hen­ri­ke und Mathi­as von der Kon­takt­stel­le Woh­nen; Foto: Yaro Alli­sat / L

Inter­view mit Hen­ri­ke und Mathi­as von der Kon­takt­stel­le Woh­nen; Foto: Yaro Alli­sat / LZ
Inter­view mit Hen­ri­ke und Mathi­as von der Kon­takt­stel­le Woh­nen; Foto: Yaro Alli­sat / LZ


Link zum Arti­kel: https://www.l‑iz.de/epaper/ausgabe-114#26

Was sieht eure all­täg­li­che Arbeit als „Kon­takt­stel­le Woh­nen“ aus?

Mathi­as: Zu uns kom­men Men­schen, die einen Flucht­hin­ter­grund haben und sich in einer oft­mals sehr schwie­ri­gen Wohn­si­tua­ti­on befin­den. Sie kom­men und fra­gen nach Wohn­raum bezie­hungs­wei­se nach Unter­stüt­zung bei der Wohn­raum­su­che. Wir haben in Leip­zig zwei Sprech­stun­den in der Woche, diens­tags und mitt­wochs. Da kom­men die Leu­te und wir regis­trie­ren ihren Bedarf. Das ist unse­re Kern­auf­ga­be: Unter­stüt­zung bei der Wohn­raum­su­che und beim Anmietungsprozess.

Dane­ben gibt es The­men, die mit­lau­fen und die immer grö­ßer wer­den. Das sind die The­men rund um Wohn­be­ra­tung, also die Unter­stüt­zung bei Fra­gen rund um das The­ma Woh­nen, damit die Leu­te gut im Wohn­raum klar­kom­men kön­nen. Also dass es da kei­ne Dis­so­nan­zen gibt mit den Nach­barn, dem Ver­mie­ter oder den Behörden.

Wie hat sich eure Arbeit über die Jah­re entwickelt?

M: In der Grün­dungs­pha­se der Kon­takt­stel­le Woh­nen, das ken­ne ich auch nur vom Hören­sa­gen, da war ich noch nicht dabei, war das haupt­säch­li­che Ziel die dezen­tra­le Unter­brin­gung von Men­schen. Als ich ange­fan­gen habe und auch schon davor, woll­te die Stadt­ver­wal­tung die Men­schen alle zen­tral an einem Ort, damals die Tor­gau­er Stra­ße 290, unter­brin­gen. Damals hat es einen gesell­schaft­li­chen Ruf gege­ben, der gesagt hat: „Das fin­den wir nicht gut. Wir wol­len, dass die Leu­te dezen­tral unter­ge­bracht werden.“

Das heißt, eigent­lich nicht „unter­ge­bracht wer­den“ son­dern „woh­nen kön­nen“. Das war die Grün­dungs­pha­se der Kon­takt­stel­le Woh­nen. Das lief am Anfang stark mit Ehren­amt­li­chen zusam­men. Wir sind eine Art Bera­tungs­si­tua­ti­on ein­ge­gan­gen und haben Ehren­amt­li­che und Geflüch­te­te mit­ein­an­der gematcht. Nach­dem der Woh­nungs­markt immer ange­spann­ter gewor­den ist, sind wir nicht umhin­ge­kom­men, die Woh­nungs­su­che zu pro­fes­sio­na­li­sie­ren. Das war unge­fähr 2017/18. In Tei­len­schrit­ten arbei­ten wir immer noch mit Ehren­amt­li­chen zusammen.

Wel­che spe­zi­fi­schen Schwie­rig­kei­ten haben Geflüch­te­te bei der Wohnungssuche?

M: Was uns immer wie­der in All­tags­ar­beit begeg­net, sind rudi­men­tä­re Kennt­nis­se der deut­schen Spra­che. Einen Brief öff­nen kann jeder, aber nicht jeder kann lesen und ver­ste­hen, was drin steht. Egal, ob es vom Job­cen­ter ist oder vom Ver­mie­ter, der­je­ni­ge wird in Pro­ble­me gera­ten. Wenn die Dring­lich­keit des Briefs nicht ver­stan­den wer­den kann, kön­nen vie­le Insti­tu­tio­nen, die die­ses Land zur Ver­fü­gung stellt, wie zum Bei­spiel wir, nicht genutzt wer­den. Die Hil­fe­sys­te­me, die es gibt, auch wenn es natür­lich noch viel mehr geben müss­te, kön­nen dann nicht in Anspruch genom­men werden.

Das ist etwas, das kli­en­ten­sei­tig da sein muss, um hier selbst in einen All­tag rein­zu­kom­men und zu ver­ste­hen was los ist. Bei den meis­ten ist das gege­ben, häu­fig aber auch nicht. Daher ist es extrem wich­tig, das Ange­bot für Sprach­un­ter­richt auszubauen.

Wir befin­den uns gera­de in einem Switch. Durch die ange­spann­te Wohn­raum­si­tua­ti­on geht es natür­lich schon viel um die Wohn­raum­su­che. Aber auch Wohn­raum hal­ten ist wich­tig. The­men wie frist­lo­se Kün­di­gun­gen und Eigen­be­darfs­kün­di­gun­gen tau­chen immer wie­der auf. Wir tun im Hin­ter­grund alles dafür, dass Men­schen in ihrer Woh­nung blei­ben kön­nen und eine frist­lo­se Kün­di­gung wie­der in ein nor­ma­les Miet­ver­hält­nis umge­wan­delt wer­den kann.

Hen­ri­ke: Eine wei­te­re Schwie­rig­keit ist, dass der bezahl­ba­re Wohn­raum in Leip­zig sehr knapp ist. Vie­le unse­rer Klient*innen sind dar­auf ange­wie­sen, dass das Job­cen­ter oder das Sozi­al­amt die Mie­te zahlt. Die weni­gen Woh­nun­gen, die es in die­sem Preis­seg­ment gibt, sind total umkämpft. Geflüch­te­te sind in die­sem Wett­be­werb dann ten­den­zi­ell benach­tei­ligt, zum Teil durch Dis­kri­mi­nie­rung oder Vor­ur­tei­le der Vermieter*innen.

Wie genau sieht die Dis­kri­mi­nie­rung aus?

H: Ich bin nicht in der Fall­ar­beit tätig, aber was ich von mei­nen Kolleg*innen mit­be­kom­me, ist, dass Men­schen, die Trans­fer­leis­tun­gen bekom­men von Vermieter*innen immer wie­der kate­go­risch aus­ge­schlos­sen wer­den. Manch­mal ist es auch so, dass gesagt wird: „Wir haben schon so vie­le Geflüch­te­te oder Migrant*innen im Haus, wir wol­len jetzt kei­ne mehr nehmen.“

M: Es gibt Ver­mie­ter, die das offen sagen: „Wir wol­len kei­ne Aus­län­der. Das passt nicht ins Haus.“ Das sind meist die klei­nen Ver­mie­ter, wo eine gewis­se Pro­fes­sio­na­li­tät nicht so gege­ben ist. Die grö­ße­ren wis­sen, was sie sagen müs­sen, damit sie nicht an geflüch­te­te Per­so­nen ver­mie­ten müssen.

Wie vie­le Men­schen bera­tet ihr ungefähr?

M: Wir haben unse­re Sprech­stun­den. Wenn man die Stadt Leip­zig betrach­tet, sind wir cir­ca bei 200 Betrof­fe­nen im Monat. Wir haben dann zum Bei­spiel eine Fami­lie, ins­ge­samt drei Haus­halts­mit­glie­der, die zu uns kom­men, sich regis­trie­ren las­sen und bera­ten werden.

H: Wir sind auch im Land­kreis Leip­zig und Nord­sach­sen tätig. Dort besu­chen durch­schnitt­lich 150 Betrof­fe­ne unse­re Sprech­stun­den. Wir haben ca. 200 regis­trier­te Här­te­fäl­le, bei denen wir uns beson­ders beei­len Wohn­raum zu fin­den. Das kann zum Bei­spiel sein, wenn durch Fami­li­en­nach­zug die Woh­nung viel zu klein gewor­den ist, bei Krank­hei­ten oder Familiennachwuchs.

War­um fin­det ihr es wich­tig, dass die Men­schen dezen­tral woh­nen können?

H: Es ist eine gro­ße Stra­pa­ze, in den Unter­künf­ten zu woh­nen: Es gibt wenig Pri­vat­sphä­re, es ist oft laut, Men­schen haben unter­schied­li­che Tages­rhyth­men und müs­sen sich arran­gie­ren. Wäh­rend Coro­na war es noch pre­kä­rer, weil die Schutz­maß­nah­men kaum ein­ge­hal­ten wer­den konn­ten. Man ist da in einer Insti­tu­ti­on, die einem die Selbst­be­stim­mung nimmt: Wo und wie ist man unter­ge­bracht, was gibt es zu Essen, Das hat ja alles nichts mit einer eigen­ver­ant­wort­li­chen Lebens­ge­stal­tung zu tun. Es gie­bt dazu von Pro Asyl eine sehr gute Bro­schü­re, wo vie­le Geflüch­te­te, die in den GUs (Gemein­schafts­un­ter­künf­ten, Anm. d. Red.) leben, zu Wort gekom­men sind. https://www.proasyl.de/news/bedeutet-unser-leben-nichts/

M: Ich den­ke, man kann das auch auf gesell­schaft­li­cher Ebe­ne betrach­ten: Als Gesell­schaft ist es gut, wenn man weiß, wer da mit einem im Quar­tier oder in der Stadt lebt und man die Leu­te kennt. Das ist natür­lich etwas ganz ande­res, wenn sie irgend­wo zen­triert sind, viel­leicht noch mit einem Zaun drum her­um und einem Wach­schutz, als wenn es die Nach­ba­rin oder der Nach­bar ist und man viel­leicht mit Men­schen ins Gespräch kom­men kann und die Pro­blem­la­gen, zu denen man sonst kei­nen Zugang hat, ken­nen­lernt. Also dass man ein Stück weit die Lebens­wirk­lich­keit teilt.

H: Das Leben in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten ist gene­rell mit Iso­la­ti­on ver­bun­den, je nach­dem, wo die Gemein­schafts­un­ter­kunft ist, und mit Stig­ma­ti­sie­rung. Was man zuletzt im Okto­ber auch wie­der gese­hen hat, ist, dass zen­tra­le Ein­rich­tun­gen auch immer wie­der Zie­le von rech­ter Gewalt werden.

Es gibt immer wie­der die For­de­run­gen, dass es Gemein­schafts­un­ter­künf­te oder Camps gar nicht mehr geben soll. Wie steht ihr dazu?

M: Grund­sätz­lich wäre es natür­lich schön, wenn es kei­ne Camps geben müss­te. Wir unter­hal­ten uns schon öfter dar­über, einen Kon­sens haben wir aber nicht. Es macht ein Stück weit Sinn, dass die Men­schen erst­mal irgend­wo ankom­men kön­nen und einen Moment haben, in dem sie zur Ruhe kom­men und die Lage che­cken kön­nen. Ähn­lich wie beim Ankom­mens­zen­trum sei­ner­zeit in der Tele­mann­stra­ße: Wo die gan­zen For­ma­li­tä­ten geklärt wer­den kön­nen. Aktu­ell gibt es einen poli­ti­schen Wan­del. Die Leu­te wer­den von den Behör­den sogar dazu ange­hal­ten, aus den GUs aus­zu­zie­hen. Das ist jetzt schon seit eini­gen Jah­ren so und das ist wirk­lich ein Sin­nes­wan­del. Aber für das ers­te Ankom­men und Schau­en, wel­che Per­so­nen­grup­pen wel­che Bedürf­nis­se haben und um dar­auf bes­ser ein­ge­hen zu kön­nen, fin­de ich eine kur­ze tem­po­rä­re zen­tra­le Unter­brin­gung nicht ganz blöd.

Wenn die Leu­te alle direkt dezen­tral woh­nen könn­ten, was ja in Leip­zig gar nicht geht, da fin­det nie­mand mit einem Fin­ger­schnip­pen die Woh­nung, hat man Pro­blem­la­gen, auf die man dann even­tu­ell nicht mehr reagie­ren kann.

H: Wofür wir uns stark ein­set­zen ist ein mög­lichst schnel­les, selbst­be­stimm­tes und dezen­tra­les Woh­nen. Wir wol­len immer wie­der dar­auf auf­merk­sam machen, dass das der Schlüs­sel ist, um sich hier ein eigen­stän­di­ges Leben auf­bau­en zu kön­nen und eine Chan­ce auf einen Neu­start zu haben. Wir wol­len auch Dis­kri­mi­nie­rung auf dem Woh­nungs­markt immer wie­der benennen.

Gibt es eine Geschich­te, die euch beson­ders berührt hat?

M: Es gibt immer wie­der Fäl­le, die beson­ders berüh­rend sind. Da will ich gar kei­nen beson­ders her­aus­he­ben. Was mich beschäf­tigt, ist, wenn zu den All­tags­fra­gen zum The­ma Woh­nen noch ande­re The­men oben­drauf kom­men. Ich habe let­zens einen Fall einer Fami­lie gehabt, die aus der Ukrai­ne flüch­ten muss­te. Dann kam noch eine schwe­re Erkran­kung des Kin­des dazu, was an sich schon eine trau­ma­ti­sche Erfah­rung ist und wo man schnell reagie­ren muss. Damit müs­sen wir einen pro­fes­sio­nel­len Umgang finden.

Ich fin­de vie­le Fäl­le aus den Frau­en­häu­sern auch immer wie­der krass. Da gibt es vie­le Fäl­le von Gewalt gegen­über Frau­en oder teil­wei­se auch gegen­über Kin­dern. Das ist schon heftig.

H: Es gibt Fami­li­en­kon­stel­la­tio­nen, für die es schwer ist, Wohn­raum zu fin­den. Da sind es dann lan­ge Such­pro­zes­se, wenn sie nicht sogar aus­sichts­los sind. Es sind beson­ders gro­ße Fami­li­en, für die es immer sehr schwie­rig ist, über­haupt Wohn­raum zu finden.

Habt ihr auch auf poli­ti­scher oder gesell­schaft­li­cher Ebe­ne Forderungen?

M: Ich mache mal einen Ver­gleich: Die Situa­ti­on, als der Ukrai­ne-Krieg aus­ge­bro­chen ist, war sehr ange­spannt. In einem nor­ma­len Pro­zess der Woh­nungs­su­che dau­ert das alles, also eine Woh­nung zu bekom­men, die For­mu­la­re und alles Behörd­li­che zu klä­ren, sechs bis acht Wochen. Als der Krieg aus­ge­bro­chen ist, hat man gesagt: „Wir ver­zich­ten auf bestimm­te Pro­zes­se der Büro­kra­tie.“ Und dann hat man nur noch eine Woche gebraucht. In der Zeit konn­ten ganz vie­le Miet­ver­trä­ge abge­schlos­sen werden.

Da haben wir gese­hen: „Wow, es geht auch ohne. Krass.“ Das hat den Leu­ten wrik­lich das Leben ver­ein­facht. Jetzt sind wir wie­der beim Ursprungs­zu­stand zurück und da haben wir ein­fach Rei­bungs­ver­lus­te. Gera­de das Job­cen­ter hat aus mei­ner Sicht vie­le Auf­ga­ben bekom­men mit dem Bür­ger­geld und der Zustän­dig­keit für die Men­schen aus der Ukrai­ne. Die haben jetzt viel zu tun und das merkt man. Die Qua­li­tät der Arbeit lei­det ein Stück weit dar­un­ter. Das krie­gen die bestimmt wie­der hin, aber momen­tan gehen ein­fach eini­ge Sachen ver­lo­ren auf dem Bürokratie-Weg.

Ein ande­res The­ma, das ich auch wich­tig fin­de und was natür­lich alle Ver­ei­ne betrifft: Die­ses jähr­li­che Los­lau­fen, um För­der­mit­tel zu bekom­men und über­haupt die­se Arbeit hier machen zu kön­nen. Damit soll­te eine Gesell­schaft anders umge­hen. Ich nen­ne mal ein Bei­spiel: Wir bräuch­ten eigent­lich ande­re Räu­me, weil sie nicht mehr ange­mes­sen sind, um eine ordent­li­che Bera­tung zu machen. Aber weil wir immer wie­der in die­sem jähr­li­chen För­der­rhyth­mus gefan­gen sind, ist es ganz schwer, umzu­zie­hen. Das wür­de Mehr­kos­ten bedeu­ten, von denen wir nicht wis­sen, ob wir sie ein­ge­hen kön­nen, weil wir nicht wis­sen, ob wir die För­der­mit­tel bekommen.

H: Um noch­mal auf das letz­te Jahr und das Begin­nen des Angriffs­krie­ges zurück­zu­kom­men: Eini­ge Din­ge, die vor­her undenk­bar waren, gin­gen plötz­lich. Das war erst­mal toll. Vie­le pri­va­te Vermieter*innen und Wohn­raum­fir­men sind auf uns zuge­kom­men und haben uns Woh­nun­gen zur Ver­fü­gung gestellt. Das hat uns die Arbeit unglaub­lich erleich­tert und es hat dazu geführt, dass vie­le ukrai­ni­sche Geflüch­te­te schnell Wohn­raum bekom­men haben.

Wir haben dann immer gefragt, ob auch Geflüch­te­te aus ande­ren Her­kunfts­län­dern in die Woh­nung ein­zie­hen könn­ten. Auch das hat öfter funk­tio­niert. Die­se Form von Mit­hil­fe durch die Vermieter*innen war ein schö­nes Erleb­nis. Es wäre schön, wenn das für Geflüch­te­te aus allen Her­kunfts­län­dern auf­recht erhal­ten wer­den kann. Wir haben gese­hen, dass es viel mehr Wohn­raum gibt, als man denkt und eini­ges davon lan­det gar nicht auf dem Wohnungsmarkt.

M: Das ist frap­pie­rend zu sehen. Man fährt durch die Stadt und sieht all die leer ste­hen­den Häu­ser. Allein hier auf der Georg-Schwarz-Stra­ße oder auf der Lütz­ner Stra­ße. Das ist ein Unding. Wir erle­ben hier einen ange­spann­ten Woh­nungs­markt, wir wis­sen wie lan­ge Leu­te brau­chen, um eine Woh­nung zu fin­den. Dabei haben wir natür­lich nicht nur Geflüch­te­te im Blick, son­dern alle. Und trotz­dem ist es öko­no­misch sinn­vol­ler, die Häu­ser leer­ste­hen zu las­sen, anstatt dass Men­schen dar­in wohnen.

Also an alle, die frei­en Wohn­raum haben und nicht wis­sen wohin: Her damit! Wir fin­den jeman­den dafür.